Rezension
trottwar - Literatour - Ausgabe 9/2005
Kaputte Kindheit bei entnervten Eltern
Schon schlimm für Kinder, wenn sie ständig in Angst leben müssen. Ihr Vater prügelt sie zeitweise halbtot - auch wenn es dafür gar keinen ersichtlichen Grund gibt. Die Mutter fürchtet sich wie ihre Kinder vor dem Vater und ist ihrer Aufgabe zu keiner Zeit gewachsen.
Axel wächst mit drei Geschwistern in einer sozial gestrandeten Arbeiterfamilie in Berlin auf. Der Vater ist ein notorischer Säufer, die Mutter ist permanent überfordert. Elterliche Liebe und menschliche Nähe erfahren die Kinder nie. Um ihre Erziehung kümmert sich niemand, es sei denn ihr versoffener Vater mit Prügeln, die sie völlig willkürlich, ganz nach der jeweiligen Laune des Tyrannen beziehen. Wenn der Vater mal wieder arbeitslos ist oder seinen Lohn in Kneipen durchgebracht hat, leidet die gesamte Familie Hunger. Sie alle erleben eine kalte Welt, erfüllt von Angst.
Dieser Welt möchte Axel entfliehen. Doch immer wieder holt ihn das Leben ein. Er erfährt eine Katastrophe nach der anderen, die ihm das Leben zur Hölle machen. So etwa, wenn er als kleiner Junge wegen einer Tuberkuloseerkrankung in ein Heim kommt und dort von einer fetten Krankenschwester eingeschüchtert, erpresst sowie anschließend von ihr und einem Arzt vergewaltigt wird. Die Hölle, die Axel durchlebt, scheint zumindest teilweise autobiographisch angelegt zu sein, denn der traurige Romanheld heißt wie sein Autor Axel Altenburg. Die erzählte Geschichte ist brutal und grausam, die Sprache einfach und authentisch. Teilweise gelingt es Altenburg auch poetisch zu schreiben, insbesondere wenn er seine Gefühlswelt in Betrachtung der Natur und Situationen der Einsamkeit erzählt und empfindet. Der Autor liefert einen beklemmenden Bericht, der auf außergewöhnliche Weise das Denken und Fühlen eines Kindes beschreibt.
Altenburg gelingt es allerdings nicht über die Einfachheit seiner Sprache hinauszuwachsen, die vor lauter Authentizität in permanenter Steigerung immer vulgärer wird. Am Schluss ist fast ausschließlich von Kotzen, Kacken, Pissen, Saufen, Fressen, Furzen, Votzensaft und Ficken die Rede.
Ob sich ein junger Verlag damit etwas Gutes tut, den Debütroman eines literarisch doch sehr fragwürdigen Autors zu verlegen, mag dem Urteil des Lesers vorbehalten bleiben.
Helmut Schmid